Internationale Best Practices zeigen, wie BIM, Automation und KI den Infrastrukturbau revolutionieren – und wie Unternehmen im DACH-Raum jetzt konkret einsteigen können.

Digitale Infrastruktur planen: Was wir aus globalen Best Practices lernen können
Die deutsche und österreichische Bauindustrie stehen unter massivem Druck: marode Brücken, überlastete Verkehrsachsen, steigende Baukosten, Fachkräftemangel – und gleichzeitig hohe Erwartungen an Nachhaltigkeit und Termintreue. Klassische Planungsmethoden stoßen hier an ihre Grenzen. Genau an diesem Punkt setzen digitale Werkzeuge, BIM und zunehmend KI an.
Im Rahmen der internationalen Online-Konferenz Build the Future – Infrastructure Digital Conference 2025 zeigt ALLPLAN gemeinsam mit führenden Ingenieurbüros aus der ganzen Welt, wie digitale Technologien bereits heute Infrastrukturbauprojekte transformieren – von Brücken über Straßen bis hin zu Hochgeschwindigkeitsstrecken. Diese Praxisbeispiele liefern wertvolle Impulse für alle, die an Baustelle 4.0 und KI in der Bauindustrie arbeiten – gerade im deutschsprachigen Raum.
In diesem Beitrag fassen wir die wichtigsten Lessons Learned aus den vorgestellten Projekten zusammen, ordnen sie im Kontext von BIM, KI und digitaler Baustelle ein und zeigen, wie Sie diese Ansätze konkret in Ihren Projekten nutzen können.
1. Warum der Infrastrukturbau jetzt digital werden muss
Die Herausforderungen im Straßen-, Brücken- und Schienenbau sind heute komplexer denn je:
- alternde Infrastruktur bei gleichzeitig wachsendem Verkehrsaufkommen
- höhere Anforderungen an Nachhaltigkeit und CO₂-Reduktion
- knappe Budgets und immer engere Terminpläne
- Fachkräftemangel in Planung, Bauleitung und Ausführung
Gleichzeitig entstehen enorme Datenmengen: Vermessungsdaten, geotechnische Gutachten, Variantenstudien, Bewehrungspläne, Bauablaufmodelle, Sensordaten vom Bau und später aus dem Betrieb. Ohne digitale Methoden bleibt dieses Potenzial ungenutzt.
BIM-Lösungen und KI-gestützte Workflows ermöglichen es, diese Daten sinnvoll zu verknüpfen:
- konsistente, modellbasierte Planung statt 2D-Insel-Lösungen
- frühzeitige Erkennung von Konflikten und Risiken
- bessere Kalkulation und zuverlässigere Terminplanung
- automatisierte Routinetätigkeiten, damit Experten sich auf Entscheidungen konzentrieren können
Die internationale Konferenz von ALLPLAN zeigt sehr deutlich: Diese digitale Transformation ist keine Zukunftsmusik mehr. Sie findet bereits statt – in Rumänien, China, Polen, Deutschland, der Schweiz und vielen anderen Ländern. Für Unternehmen im DACH-Raum ist jetzt der ideale Zeitpunkt, sich an diesen Best Practices im Infrastrukturbau zu orientieren.
2. Globale Best Practices: Was führende Ingenieurbüros anders machen
Die Konferenz versammelt sieben Vorträge führender Büros, die eines gemeinsam haben: Sie setzen durchgängig auf integrierte BIM-Workflows – teilweise bereits mit KI-unterstützten Elementen. Einige Beispiele sind besonders lehrreich.
2.1 Straßenbauprojekt in Rumänien: Prozessoptimierung statt Mehrarbeit
Das türkische Unternehmen Makyol Construction zeigt anhand eines anspruchsvollen Straßenbauprojekts in Rumänien, wie sich Planungs- und Bauprozesse durchgängig digitalisieren lassen:
- Parametrische Modellierung der Trasse und Kunstbauten
- modellbasierte Koordination von Straßenbau, Bauwerken und Entwässerung
- Nutzung eines zentralen BIM-Modells als Datengrundlage für Bauphasen
Für Teams im deutschsprachigen Raum ist besonders relevant: Viele Befürchtungen gegenüber BIM („mehr Aufwand“, „zu komplex“) lösen sich auf, wenn Prozesse sauber definiert und standardisiert werden. Digitale Workflows sparen Zeit – insbesondere bei Planänderungen und Varianten.
2.2 Fachwerkbogenbrücke in China: Detailierung und Bewehrung im Modell
Guizhou Transportation Planning Survey & Design präsentiert die Planung einer komplexen Fachwerkbogenbrücke. Hier wird deutlich, wie weit der Detailierungsgrad im digitalen Brückenmodell bereits gehen kann:
- durchgängige 3D-Modelle inkl. Bewehrung
- Kollisionsprüfung zwischen Tragwerk, Bewehrung und Einbauteilen
- höhere Planungssicherheit für Fertigung und Baustelle
Für den deutschsprachigen Markt ist das ein wichtiger Hinweis: Wer Bewehrung im Modell plant, schafft die Grundlage für weitere Automatisierungsschritte, z. B. KI-gestützte Bewehrungsoptimierung, automatisierte Prüfungen oder Roboterbiegung.
2.3 Hochgeschwindigkeits-Bahnprojekt in Polen: Visual Scripting & Parametrik
BPK Mosty zeigt, wie sich mit Visual Scripting (PythonParts) und parametrischer Modellierung hochkomplexe Bahnprojekte effizient bearbeiten lassen:
- wiederkehrende Bauteile werden einmal „intelligent“ definiert
- Geometrie passt sich automatisch an Achs- oder Randbedingungen an
- Änderungen in der Trasse werden im Modell schnell nachvollzogen
Das ist ein Kernbaustein von Baustelle 4.0: Standardisierbare Aufgaben werden digitalisiert, dynamisiert und perspektivisch mit KI kombiniert – etwa um automatisch Varianten zu erzeugen oder Optimierungen vorzuschlagen.
2.4 Fertigteilbrücke in Deutschland: Vergleich von Berechnungslösungen
Harrer Ingenieure aus Deutschland demonstrieren die Tragwerksplanung einer vorgespannten Fertigteilbrücke – inklusive Vergleich von Berechnungsergebnissen aus verschiedenen Softwarelösungen.
Die zentrale Erkenntnis:
- Ein konsistentes BIM-Modell dient als „Single Source of Truth“.
- Tragwerksmodelle, Varianten und Nachweise lassen sich besser vergleichen.
- Qualitäts- und Plausibilitätsprüfungen können teilautomatisiert erfolgen.
Damit wird der Weg frei für KI-gestützte Modellprüfungen: Wenn Berechnungen und Geometrien sauber strukturiert vorliegen, können Algorithmen Abweichungen, Unstimmigkeiten oder Optimierungspotenziale erkennen.
2.5 Stadtstraßenprojekt in Zürich: Infrastruktur, ÖV und Leitungen integriert
Hans H. Moser AG aus der Schweiz präsentiert die Umgestaltung der Wallisellenstrasse in Zürich – ein komplexes Stadtprojekt mit Straßenumbau, barrierefreier Modernisierung des ÖPNV und umfangreichen Grundwasser- und Leitungsarbeiten.
Die Lernpunkte für den DACH-Raum:
- Interdisziplinäre Planung (Straße, ÖV, Leitungen, Wasserwirtschaft) wird ohne BIM schnell unübersichtlich.
- Digitale Modelle machen Konflikte im Untergrund früh sichtbar.
- Barrierefreiheit, Verkehrssicherheit und Bauphasen lassen sich im Modell deutlich besser mit Stakeholdern kommunizieren.
Solche Projekte sind ideale Anwendungsfelder für KI in der Bauindustrie – etwa zur automatischen Kollisionssuche, zur Optimierung von Bauphasen oder zur Simulation von Verkehrsflüssen.
3. Von BIM zu KI: Wie digitale Infrastrukturplanung zur Baustelle 4.0 führt
Viele Unternehmen möchten „etwas mit KI“ machen, starten aber an der falschen Stelle. Die Beispiele der Konferenz zeigen klar: Ohne solide BIM-Basis keine sinnvolle KI-Nutzung.
3.1 BIM als Datenfundament für KI
Damit KI-Algorithmen Mehrwert liefern, brauchen sie:
- saubere, strukturierte Modelle (Geometrie und Attribute)
- konsistente Klassifikation (z. B. nach IFC, Unternehmensstandards)
- nachvollziehbare Historie von Varianten und Entscheidungen
Die vorgestellten Projekte erfüllen diese Voraussetzungen bereits weitgehend. Darauf aufbauend sind u. a. folgende KI-Anwendungen realistisch:
- automatische Qualitätssicherung von Modellen
- Erkennung typischer Planungsfehler aus historischen Projekten
- Vorschläge für Bewehrungsführungen oder Querschnittsoptimierung
- automatisierte Mengenermittlung und Kostenprognosen
3.2 KI auf der digitalen Baustelle: Vom Modell in die Ausführung
Die Serie „KI in der deutschen Bauindustrie: Baustelle 4.0“ beleuchtet, wie sich digitale Planung nahtlos in die Bauausführung fortsetzen lässt. Die hier gezeigten Best Practices sind dafür der Startpunkt:
- BIM-Modelle als Basis für Bauablauf-Simulationen: KI kann Bauzeiten, Ressourcen und Logistik optimieren.
- Sicherheitsüberwachung: Kombination aus Modell, Sensordaten und KI-Analyse zur Erkennung kritischer Situationen.
- Ressourcenmanagement: Prognose von Personal- und Geräteeinsatz auf Basis von Modelldaten und Erfahrungswerten.
Je digitaler die Planung, desto einfacher lassen sich später Sensordaten, Drohnenaufnahmen oder Baustellenfotos mit dem Modell verknüpfen – ein wesentlicher Baustein der digitalen Baustelle in Österreich und Deutschland.
4. Konkrete Schritte: So nutzen Sie die Erkenntnisse für Ihr Unternehmen
Die internationale Build the Future-Konferenz liefert nicht nur Inspiration, sondern auch sehr konkrete Ansatzpunkte für Bauunternehmen, Ingenieurbüros und öffentliche Auftraggeber im DACH-Raum.
4.1 Ausgangslage analysieren
Bevor Sie in KI investieren, sollte der Status quo der digitalen Planung klar sein:
- Wie hoch ist der BIM-Reifegrad im Unternehmen?
- Welche Infrastrukturbereiche (Straße, Brücke, Schiene, Kanal) eignen sich als Pilotprojekte?
- Welche Daten liegen bereits strukturiert vor, welche nur als PDF oder 2D?
Ohne diese Bestandsaufnahme besteht die Gefahr, punktuell Tools einzuführen, ohne echten Prozessnutzen zu generieren.
4.2 Pilotprojekte gezielt wählen
Orientieren Sie sich bei der Auswahl an den gezeigten Beispielen:
- Ein überschaubares Brückenprojekt für durchgängige BIM- und Bewehrungsplanung
- Ein innerstädtisches Straßenprojekt zur Koordination von Leitungen, ÖV und Verkehr
- Ein Bahnprojekt mit vielen Wiederholbauwerken, ideal für Parametrik und Scripting
Wichtig ist, Pilotprojekte so zu wählen, dass Messbarkeit gegeben ist: weniger Planänderungskosten, weniger Kollisionen, kürzere Abstimmungszeiten.
4.3 Prozesse standardisieren und automatisieren
Statt direkt bei KI einzusteigen, sollten zuerst wiederkehrende Tätigkeiten standardisiert werden:
- Erstellung und Nutzung von Bürovorlagen und Bauteilbibliotheken
- Einsatz von Visual Scripting für Routineaufgaben (z. B. Geländer, Stützwände, Standarddetails)
- klare Verantwortlichkeiten und Rollen im BIM-Prozess
Auf dieser Basis lassen sich im nächsten Schritt KI-gestützte Funktionen integrieren, etwa:
- automatische Modellprüfungen gegen unternehmensspezifische Regeln
- Mustererkennung in Bewehrungsführungen
- Prognosen zu Mengen, Kosten und Terminen aus laufenden Projektdaten
4.4 Kompetenzen im Team aufbauen
Digitale Infrastrukturprojekte brauchen Kompetenzträger in mehreren Rollen:
- BIM-Koordinator:innen, die Modelle, Daten und Prozesse steuern
- Fachexpert:innen, die Tragwerks- und Infrastrukturwissen in Modelle überführen
- Data- und KI-affine Mitarbeiter:innen, die Skripte, Auswertungen und Automatisierungen entwickeln
Investieren Sie gezielt in Schulungen, interne „Leuchtturmprojekte“ und Erfahrungsaustausch – intern und mit Partnerbüros.
5. Ausblick: Infrastruktur 2030 – ohne KI undenkbar
Die Build the Future – Infrastructure Digital Conference 2025 macht deutlich: Die Infrastrukturplanung von morgen ist hochdigital, kollaborativ und zunehmend KI-gestützt. Die heute präsentierten BIM- und Automatisierungsprojekte sind die Vorstufe einer Entwicklung, die sich in den kommenden fünf Jahren massiv beschleunigen wird.
Für Unternehmen in der DACH-Region bedeutet das:
- Wer jetzt in digitale Modelle, Prozesse und Datenqualität investiert, schafft die Voraussetzung, KI sinnvoll einzusetzen.
- Internationale Best Practices liefern konkrete Blaupausen, wie sich Infrastrukturbauprojekte effizienter, transparenter und nachhaltiger steuern lassen.
- Die Vision der Baustelle 4.0 – mit vernetzter Planung, Ausführung und Betrieb – wird nur Realität, wenn Planung, Bau und Betrieb gemeinsam digital denken.
Nutzen Sie die aktuellen Impulse aus internationalen Projekten, um Ihren eigenen Fahrplan zu entwickeln: Wo können Sie noch in diesem Jahr ein erstes digitales Infrastruktur-Pilotprojekt aufsetzen? Welche Partner, Tools und Kompetenzen brauchen Sie dafür? Wer diese Fragen heute aktiv angeht, wird in der Infrastrukturwelt 2030 zu den Gestalter:innen gehören – nicht zu den Getriebenen.