Die neue IFC-Kompatibilitätspolitik der ISO schafft Stabilität für BIM-Daten – und damit ein sicheres Fundament für KI und digitale Baustellen im österreichischen Einzelhandel.

IFC‑Kompatibilität: Warum ein stabiles Datenformat für KI im (Einzel-)Handel entscheidend ist
Im November 2025 hat die ISO mit einer neuen Compatibility Policy für ISO 16739‑1 (IFC) einen Meilenstein gesetzt. Auf den ersten Blick klingt das nach trockener Normungstechnik – in Wahrheit betrifft es jedoch jede Organisation, die auf digitale Zwillinge, BIM und KI setzt. Dazu gehört längst nicht mehr nur die klassische Bauindustrie, sondern auch der österreichische Einzelhandel, der seine Filialen, Logistikzentren und Einkaufszentren als hochvernetzte, datengetriebene Assets denkt.
In unserer Serie „KI im österreichischen Einzelhandel: Retail Innovation“ geht es um Themen wie Bestandsmanagement, Preisoptimierung, Kundenanalyse und Omnichannel-Strategien. All diese KI‑Anwendungen haben eines gemeinsam: Sie brauchen verlässliche, strukturierte Daten – auch aus der gebauten Umgebung. Genau hier setzt die neue IFC‑Kompatibilitätspolitik an.
In diesem Beitrag erklären wir, was hinter der neuen Policy steckt, warum sie für digitale Baustellen, Retail‑Immobilien und KI‑Anwendungen so wichtig ist und wie Handelsunternehmen in Österreich diese Entwicklung strategisch nutzen können.
1. Was ist IFC – und warum ist es für den Handel relevant?
IFC (Industry Foundation Classes) ist ein offener, herstellerneutraler Standard für den Austausch von Bauwerksinformationen. Er ist in der Norm ISO 16739‑1 definiert und bildet die Grundlage für openBIM – also BIM ohne proprietäre Datensilos.
IFC im Kontext von Filialnetzen und Retail‑Immobilien
Für den österreichischen Handel ist IFC mehr als „nur ein BIM‑Format“:
- Planung und Umbau von Filialen: Ladenlayouts, Regalanordnungen, Fluchtwege, Haustechnik – all das kann in IFC‑Modellen strukturiert beschrieben werden.
- Technische Gebäudeausrüstung (TGA): HVAC, Beleuchtung, Sensorik, Sicherheitstechnik – entscheidend für Energieeffizienz und Komfort.
- Facility Management und Lifecycle‑Daten: Wartungsintervalle, Zustandsdaten, Materialinformationen – wichtig für Kosten- und Nachhaltigkeitscontrolling.
Wenn diese Informationen in einem offenen Standard wie IFC vorliegen, können sie von verschiedensten Systemen genutzt werden – von der CAFM‑Software bis zu KI‑basierten Analytics‑Plattformen.
Ohne stabile, standardisierte Gebäudedaten bleibt KI im Handel Stückwerk – die neue IFC‑Kompatibilitätspolitik ist daher ein zentrales Puzzleteil der Digitalisierungsstrategie.
2. Was bringt die neue ISO‑Kompatibilitätspolitik für IFC?
Die ISO/TC 59/SC 13 hat eine Compatibility Policy für ISO 16739‑1 (IFC) veröffentlicht. Zum ersten Mal gibt es damit einen formalen, gemeinsamen Rahmen, wie zukünftige Versionen von IFC weiterentwickelt werden.
Ziele der Policy
Die Policy beantwortet zentrale Fragen, die in der Praxis immer mehr Gewicht bekommen:
- Was ist eine „breaking change“? Also eine Änderung, die bestehende Daten oder Software unbrauchbar machen könnte.
- Wie werden Erweiterungen und Korrekturen gehandhabt?
- Wie läuft die schrittweise Außerdienststellung (Deprecation) von Objekten oder Attributen ab?
- Wie wird Kompatibilität bei Revisionen bewertet?
Das Hauptziel: Innovation ermöglichen, ohne die Stabilität zu opfern.
Rolle von buildingSMART International
Die Weiterentwicklung von IFC kommt maßgeblich aus der Community von buildingSMART International (bSI). ISO hat bSI daher als offiziellen Liaison‑Partner in die Erarbeitung der Policy eingebunden.
bSI brachte unter anderem ein:
- Erfahrungen aus realen IFC‑Projekten weltweit,
- Rückmeldungen aus der Software‑Implementierung,
- Use Cases aus verschiedenen Branchen – von Infrastruktur über Hochbau bis hin zu komplexen Immobilienportfolios.
Das Ergebnis ist eine Policy, die sowohl den strengen ISO‑Prozess respektiert als auch den praktischen Anforderungen der Anwender gerecht wird.
3. Warum diese Stabilität für KI und digitale Baustellen im Handel so wichtig ist
Für die Bauindustrie ist eine stabile IFC‑Weiterentwicklung entscheidend. Für den Einzelhandel gilt das genauso – vor allem, wenn KI eine strategische Rolle spielt.
Langfristige Nutzungsdauer von Retail‑Assets
Filialen und Logistikzentren werden nicht für 3, sondern für 20–40 Jahre geplant. Die zugehörigen IFC‑Modelle müssen:
- auch in 10 oder 20 Jahren noch lesbar und interpretierbar sein,
- Änderungen (Umbauten, Flächenerweiterungen, neue Technik) bruchsicher abbilden,
- kontinuierlich mit Sensor- und Betriebsdaten angereichert werden können.
Die neue Compatibility Policy sorgt dafür, dass künftige IFC‑Revisionen diese Langfristigkeit respektieren und Alt‑Daten nicht „abgehängt“ werden.
Grundlage für KI im Bestandsmanagement und in der Flächenoptimierung
Viele KI‑Use‑Cases im Handel hängen direkt von sauberen IFC‑Daten ab:
- Bestandsmanagement: Verknüpfung von Regalstandorten, Lagerflächen und Warenwirtschaftssystemen, um Lagerbestände und Nachschub KI‑basiert zu optimieren.
- Flächenproduktivität: Analyse, welche Zonen einer Filiale wie stark frequentiert sind und wie sich Produktplatzierungen auf den Umsatz auswirken.
- Energie- und Wartungsoptimierung: KI‑Modelle, die Verbrauchsdaten (Strom, Wärme, Kühlung) mit IFC‑basierten Gebäudemodellen verbinden, um Einsparpotenziale zu identifizieren.
Ohne eine verlässlich weiterentwickelte IFC‑Basis müssten KI‑Teams ständig befürchten, dass sich Struktur und Semantik der Daten ändern – mit teuren Anpassungen in Datenpipelines und Modellen.
Sicherheit für Investitionen in KI‑ und BIM‑Plattformen
Für Entscheider im österreichischen Handel ist ein weiterer Aspekt entscheidend: Investitionssicherheit.
Die Policy schafft:
- Planbarkeit für Software‑Hersteller: Updates der BIM‑ oder CAFM‑Software können auf Basis klarer Kompatibilitätsregeln geplant werden.
- Reduziertes Migrationsrisiko: Beim Umstieg auf neue IFC‑Versionen bleiben bestehende Daten lauffähig, „breaking changes“ werden klar definiert und angekündigt.
- Vertrauen für KI‑Projekte: Data‑Science‑Teams können auf eine stabile Datenstruktur setzen und Modelle langfristig nutzen.
Für Handelsunternehmen, die gerade in digitale Baustellen, digitale Zwillinge und KI‑Analytics investieren, ist das ein starkes Signal: Die Basisnorm IFC wird kontrolliert und berechenbar weiterentwickelt.
4. Konkrete Auswirkungen auf den österreichischen Einzelhandel
Wie lässt sich diese eher technisch anmutende Normenpolitik nun in praktische Vorteile für den österreichischen Handel übersetzen?
4.1 Filialnetz als Datenökosystem denken
Viele Händler betrachten ihre Filialen noch isoliert. Mit IFC und KI lässt sich das Filialnetz als zusammenhängendes Datenökosystem begreifen:
- Einheitliche IFC‑Modelle für alle Standorte (Neu- und Bestandsbauten)
- Zentrale Verwaltung von Flächen- und TGA‑Daten
- Anbindung an IoT‑Sensorik (Temperatur, Frequenz, Belegung, Energieverbrauch)
Die neue Policy stellt sicher, dass dieses Ökosystem nicht bei jedem IFC‑Update instabil wird, sondern langfristig konsistent bleibt.
4.2 Digitale Baustellen beim Umbau und Rollout
Gerade in den nächsten Jahren stehen viele Handelsunternehmen vor größeren Umbauprogrammen: Modernisierung von Bestandsfilialen, Ausbau von Click‑&‑Collect‑Flächen, Integration von Micro‑Fulfillment‑Centern.
Mit digitalen Baustellen auf Basis von openBIM und IFC können Sie:
- Planungsstände transparent mit allen Gewerken teilen,
- KI‑gestützte Simulationen (z. B. Kundenströme, Fluchtwege, Beleuchtung) durchführen,
- Baufortschritt, Kosten und Qualität laufend überwachen.
Die ISO‑Kompatibilitätsregeln sorgen dafür, dass die dabei erzeugten IFC‑Daten zukunftssicher sind und später problemlos in Betrieb, FM und KI‑Analytics überführt werden können.
4.3 Omnichannel‑Strategien mit Gebäudedaten verknüpfen
Omnichannel bedeutet nicht nur die Verknüpfung von Online‑Shop, App und Filiale, sondern auch eine intelligente Nutzung der physischen Fläche:
- Optimierte Wege für Click‑&‑Collect‑Mitarbeiter im Store
- Dynamische Flächenzuordnung zwischen Showroom, Lager und Abholstationen
- Anpassung von Sortimentstiefe und Platzierung nach regionaler Nachfrage
In Kombination mit Kunden- und Transaktionsdaten können KI‑Modelle auf Basis stabiler IFC‑Gebäudedaten analysieren, wie sich Layoutänderungen auf Umsatz, Aufenthaltsdauer und Servicequalität auswirken. Die neue Policy stellt sicher, dass die zugrundeliegende Datenstruktur auch in Zukunft konsistent bleibt.
5. Handlungsempfehlungen: So bereiten sich Handelsunternehmen jetzt vor
Damit Ihr Unternehmen von der neuen Kompatibilitätspolitik für IFC maximal profitiert, sollten Sie einige strategische Schritte setzen.
5.1 IFC als verbindlichen Standard verankern
- Definieren Sie IFC (ISO 16739‑1) als bevorzugten Austauschstandard in Ihren Bau- und Umbauprojekten.
- Verankern Sie in Ihren Ausschreibungen, dass Planer und ausführende Unternehmen openBIM unterstützen müssen.
- Prüfen Sie bei Software‑Investitionen (BIM, CAFM, FM, IoT‑Plattformen) die IFC‑Kompatibilität und die Roadmap der Anbieter.
5.2 Datenstrategie mit KI‑Fokus entwickeln
- Erstellen Sie eine Datenlandkarte, die Gebäude‑, Betriebs- und Kundendaten zusammenführt.
- Definieren Sie priorisierte KI‑Use‑Cases (z. B. Flächenproduktivität, Energieoptimierung, Personalplanung).
- Stellen Sie sicher, dass IFC‑Modelle strukturiert, versioniert und mit Metadaten angereichert werden, die für diese Use‑Cases relevant sind.
5.3 Interne Kompetenzen aufbauen
- Schulen Sie Bau- und FM‑Teams in den Grundlagen von IFC und openBIM.
- Stärken Sie die Zusammenarbeit zwischen Bauabteilung, IT, Data Science und Retail Operations.
- Nutzen Sie Pilotprojekte (z. B. bei einer Musterfiliale), um schnell Lernerfahrungen zu sammeln.
5.4 Die Kompatibilitätspolitik aktiv beobachten
Auch wenn Sie nicht jeden Normendetail kennen müssen, lohnt sich der Blick auf folgende Punkte:
- Welche neuen IFC‑Versionen zeichnen sich ab?
- Welche Erweiterungen oder Deprecations sind geplant, die Ihre Use‑Cases betreffen könnten?
- Wie positionieren sich Ihre Software‑Partner dazu?
So können Sie frühzeitig planen, wann ein Versionswechsel sinnvoll ist – und Ihre KI‑Landschaft entsprechend vorbereiten.
Fazit: Stabile Standards als Turbo für KI im österreichischen Handel
Die neue Compatibility Policy für ISO 16739‑1 (IFC) mag auf den ersten Blick wie ein Detail der Normung erscheinen. In Wahrheit legt sie ein stabiles Fundament für alles, was wir in dieser Serie „KI im österreichischen Einzelhandel: Retail Innovation“ diskutieren: von Bestandsmanagement über Preisoptimierung bis hin zu Omnichannel‑Erlebnissen.
Durch klar geregelte, vorhersehbare Weiterentwicklungen von IFC gewinnen Handelsunternehmen in Österreich:
- Planungssicherheit bei Bau- und Umbauprojekten,
- Zukunftssicherheit für digitale Zwillinge und Gebäudedaten,
- eine robuste Grundlage für KI‑gestützte Entscheidungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Wer seine Filialen als datengetriebene Assets versteht und frühzeitig auf offene Standards setzt, verschafft sich im Wettbewerb einen spürbaren Vorsprung. Die Frage lautet daher weniger, ob Sie IFC und die neue Kompatibilitätspolitik berücksichtigen sollten, sondern vielmehr:
Wie schnell möchten Sie Ihre gebaute Umgebung in ein belastbares Datenfundament für Ihre nächste Generation von KI‑Lösungen verwandeln?